| Fast jeder weiß was in Hameln geschah, vor tausend und einem Jahr
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| Wie die Ratten dort hausten, die alles fraßen was nicht aus Eisen war
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| Zu dieser Zeit kam ich nach langer Fahrt als Spielmann in diese Stadt
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| Und ich hörte als erstes den Herold schreien, als ich den Markt betrat
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| Wer mit Gottes Hilfe oder allein die Stadt von den Ratten befreit
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| Für den lägen ab nun beim Magistrat hundert Taler in Gold bereit
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| Ich packte mein Bündel, die Flöte und Leier und klopfte ans Rathaustor
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| Kaum sah man mich schlug man die Tür wieder zu und legte den Riegel vor
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| Und ich hörte wie man den Herren sagte, es stünde ein Mann vor dem Tor
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| Zerrissen und stinkend in bunte Lumpen, mit einem Ring im Ohr
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| Dieser Mann nun ließe den Herren sagen, er käme von weit, weit her
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| Und er böte der Stadt seine Hilfe, weil er ein Rattenfänger wär
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| Ich wartete lange, dann rief eine Stimme durch die geschlossene Tür:
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| «Vernichte die Ratten und du bekommst die versprochenen Taler dafür!»
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| Und ich ging und blies in der Nacht die Flöte, immer nur einen einzigen Ton
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| Der so hoch war, dass nur die Ratten ihn hörten, und keine kam davon
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| Bis hinein in die Weser folgte mir bald die ganze quiekende Brut
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| Und an Morgen trieben dann hunderttausend Kadaver in der Flut
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| Als die Hamelner Bürger hörten, was alles geschehen war in der Nacht
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| Tanzten sie auf den Straßen, nur an mich hat keiner gedacht
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| Und als ich dann wieder vorm Rathaus stand und forderte meinen Lohn
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| Schlug man auch diesmal die Tür vor mir zu und erklärte mir voller Hohn
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| Nur der Teufel könne bei meiner Arbeit im Spiel gewesen sein
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| Deshalb sei es gerecht ich triebe bei ihm meine hundert Taler ein
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| Doch ich blieb und wartete Stunde um Stunde bis zum Abend vor jenem Haus
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| Aber die Ratsherren die drinnen saßen, trauten sich nicht heraus
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| Als es Nacht war kamen bewaffnete Kerle, ein dutzend oder mehr
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| Die schlugen mir ihre Spieße ins Kreuz und stießen mich vor sich her
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| Vor der Stadt hetzten sie ihre Hunde auf mich und die Bestien schonten mich
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| nicht
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| Sie rissen mich um und pissten mir noch ins blutende Gesicht
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| Als der Mond schien flickte ich meine Lumpen, wusch meine Wunden im Fluss
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| Und weinte dabei vor Schwäche und Wut, bis der Schlaf mir die Augen schloss
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| Doch noch einmal ging ich zurück in die Stadt und hatte dabei einen Plan
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| Denn es war Sonntag, die Bürger traten eben zum Kirchgang an
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| Nur die Kinder und die Alten blieben an diesem Morgen allein
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| Und ich hoffte, die Kinder würden gerechter, als ihre Väter sein
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| Ich hatte vorher mein zerfleischtes Gesicht mir bunten Farbe bedeckt
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| Und mein Wams, damit man die Löcher nicht sah, mit Hahnenfedern besteckt
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| Und ich spielte und sang, bald kamen die Kinder zu mir von überall her
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| Hörten was ich sang mit Empörung und vergaßen es nie mehr
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| Und die Kinder beschlossen mir zu helfen und nicht mehr zuzusehen
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| Wo Unrecht geschieht, sondern immer gemeinsam dagegen anzugehen
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| Und die Hamelner Kinder hielten ihr Wort und bildeten ein Gericht
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| Zerrten die Bosheit und die Lügen ihrer Väter ans Licht
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| Und sie weckten damit in ihren Eltern Betroffenheit und Scham
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| Und weil er sich schämte, schlug manch ein Vater sein Kind fast krumm und lahm
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| Doch mit jeder Misshandlung wuchs der Mut der Kinder dieser Stadt
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| Und die hilflosen Bürger brachten die Sache vor den hohen Rat
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| Es geschah was heute noch immer geschieht, wo Ruhe mehr gilt als Recht
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| Denn wo die Herrschenden Ruhe wollen, geht’s den Beherrschten schlecht
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| So beschloss man die Vertreibung einer ganzen Generation
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| In der Nacht desselben Tages begann die schmutzige Aktion
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| Gefesselt und geknebelt, von den eigenen Vätern bewacht
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| Hat man die Kinder von Hameln ganz heimlich aus der Stadt gebracht
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| Nun war wieder Ruhe in der Stadt Hameln, fast wie in einem Grab
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| Doch die Niedertracht blühte, die Ratsherren fassten eilig ein Schreiben ab
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| Das wurde der Stadtchronik beigefügt, mit dem Stempel des Landesherren
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| Und besagt, dass die Kinder vom Rattenfänger ermordet worden wär'n
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| Doch die Hamelner Kinder sind nicht tot, zerstreut in alle Welt
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| Haben auch sie wieder Kinder gezeugt, ihnen diese Geschichte erzählt
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| Denn auch heute noch setzen sich Menschen für die Rechte Schwächerer ein
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| Diese Menschen könnten wohl die Erben der Hamelner Kinder sein
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| Doch noch immer herrscht die Lüge über die Wahrheit in der Welt
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| Und solange die Gewalt und Angst die Macht in Händen hält
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| Solange kann ich nicht sterben, nicht ausruhen und nicht fliehen
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| Sondern muss als Spielmann und Rattenfänger immer weiter ziehen
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| Denn noch nehmen Menschen Unrecht als Naturgewalt in Kauf
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| Und ich hetze noch heute die Kinder dagegen immer wieder auf
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| Und ich hetze noch heute die Kinder dagegen immer wieder auf |