| Weißt du noch, wie wir als Kinder in dem alten Bunker rumgegeistert sind?
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| Weil es verboten war und unheimlich und gruslig in dem dunklen Labyrinth
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| Und weißt du, wie ich mir die Stirn an einem Eisenträger aufgeschlagen hab'
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| Dass ich zu Boden ging und erst mal eine Weile keinen Ton mehr von mir gab
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| Und ich kauerte versteinert auf den kalten Treppenstufen
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| Und du bist ins Dorf gerannt, um Doktor Berenthal zu rufen
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| Scharf und stechend kam der Schmerz, ich fing an, wie am Spieß zu schrei’n
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| Um mich wurde alles rot und ich blutete wie ein Schwein
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| Und dann kamst du keuchend wieder und sahst mich und all das Blut:
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| «Hey, Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!»
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| Ich seh noch heute, wie die große vertraute Gestalt am Bunkereingang steht
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| Wie sie vor mir auf der Treppe kniet und meine Stirn mit sieben Stichen näht
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| Ich weiß noch, wie das Jod in meiner Wunde brannte und ich weiß noch,
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| wie es roch
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| Und wenn ich’s je vergessen sollte, dann erinnert mich die Narbe heute noch
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| Wie der Schmerz allmählich nachließ und mich weniger bedrückte
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| Als das Donnerwetter zuhaus, das in den Vordergrund rückte
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| Und er half mir aufzustehen und er nahm mich bei der Hand
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| Brachte mich zu meinen Eltern mit dem schaurigen Verband
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| Besänftigte ihr Entsetzen und er dämpfte ihre Wut
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| Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!
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| Doktor Berenthal kommt und es ist alles im Lot
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| Ritter ohne Furcht und Tadel, der Retter in der Not
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| Du musst dir nur die Worte sagen und schon fast du neuen Mut:
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| «Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!»
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| Er sah aus wie Gary Cooper in High Noon, wenn er aus seiner Praxis lief
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| Mit wehendem Rock, dem braunen Doktorkoffer und sein Stethoskop hing tief
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| Und er schwang sich auf die alte klapprige 250er NSU
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| Und stob wie der schwarze Ritter durch den Ort und seinen Schutzbefohl’nen zu
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| Und bald hörtest Du sein Ross, sich knatternd vor dem Haus aufbäumen
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| Und dann trat er an dein Krankenbett in deinen Fieberträumen
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| Er kam als du Scharlach hattest, Masern, Mumps und das und dies
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| Und er brachte auf die Welt, und er brachte ins Paradies
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| Und er brachte Trost und Wärme mit, Kampfgeist und Lebensmut
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| Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!
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| Weißt du noch wie sich das anfühlt, das eiskalte Stetoskop auf Gänsehaut
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| Und das Abklopfen im Rücken, ist dir die Zeremonie nicht noch vertraut?
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| Dies Trommeln mit gekreuzten Fingern, dessen Sinn du niemals ganz begriffen hast
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| Dieser Holzspatel im Mund, diesmal wirst du dich übergeben — oder fast
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| Du kennst alle seine Späße und diese Ablenkungswitze
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| Und weißt, hinter seinem Rücken hält er diese Riesenspritze
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| Plötzlich scheint dir seine Anwesenheit überflüssig und
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| Tut dir schon gar nichts mehr weh, bis du schon wieder ganz gesund
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| Alle Schmerzen sind verflogen, Jammern wird zu Übermut
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| Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!
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| Doktor Berenthal kommt und es ist alles im Lot
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| Ritter ohne Furcht und Tadel, der Retter in der Not
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| Du mußt dir nur die Worte sagen und schon fast du neuen Mut:
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| «Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!»
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| Du hörst seine tiefe Stimme schon im Flur, er grummelt etwas vor sich hin
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| Und er riecht nach Kampfer und Thymol und manchmal nach einem Verdacht von Gin
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| Und du siehst den großen, ausgemergelten, vom Tode gezeichneten Mann
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| Nur noch ein Schatten seiner selbst, der allen hilft und sich doch selbst nicht
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| helfen kann
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| Und da liegt der riesengroße Kerl verlassen und verraten
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| Zwischen Schläuchen, Monitoren an Schnüren und Apparaten
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| Und du möchtest hingehn können in den grauen Kachelsaal
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| Und du wünschtest sehr, der alte Zauberspruch wirkte noch mal:
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| «Halt durch Alter, ich hol dir den Schwarzen Ritter, ruhig Blut!
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| Doktor Berenthal kommt und alles ist gut!»
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| Doktor Berenthal kommt, — das ist lange her
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| Das Emailleschild an seinem Haus gibt es nicht mehr
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| Die kleine, abgewohnte Praxis steht noch immer leer
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| Und wo kriegst du jetzt deinen Trost und deine Zuversicht her?
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| Wenn das Erwachsen werden heißt, verdammt, dann ist es schwer —
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| Doktor Berenthal kommt nicht mehr |