| Als gelernter Kavalier der alten Schule begleit' | 
| Ich meine Frau ins grosse Warenhaus von Zeit zu Zeit, | 
| Und dann drück' ich mich auch nicht vor so heiklen Missionen | 
| Wie dem Stöbern in diversen Dessous-Kollektionen. | 
| Ich folge ihr diskret durch Schlüpfer und durch Mieder, | 
| Und ich schlag' verwirrt errötend die Augen nieder. | 
| In der Dessous-Abteilung, das spürst du beklommen, | 
| Wirst du als Mann noch immer nicht so richtig angenommen. | 
| Natürlich bin ich aufgeklärt und schwer emanzipiert, | 
| Und trotzdem fühlst du dich als Kerl irgendwie deplaziert. | 
| Und auch diesmal gerät der Damenunterwäschekauf | 
| Für mich als Mitläufer zum reinsten Spiessrutenlauf. | 
| Zwischen Hüfthaltern und Leibchen und Feinstrumpfhosen | 
| Auf langen Plexiglasbeinen in merkwürdigen Posen, | 
| Zwischen Stützkorsetts auf kopflosen Plastikrümpfen, | 
| Sloggys und French Knickers auf gespreizten Körperstümpfen, | 
| Vorbei am Unterleib mit abgetrenntem Schenkel, | 
| Der einen Tanga trägt, nein, eigentlich mehr einen Schnürsenkel, | 
| Bis zum liegenden Torso, der, Glitzerbody-bedeckt, | 
| Dem Betrachter gleich das Himmelreich entgegenstreckt. | 
| Und mich ergreifen Entsetzen und Mitgefühl zugleich: | 
| Das muss ja schrecklich kneifen, da ist doch alles zart und weich! | 
| Und erzähl mir nicht, dass diese winzigen sauteuren | 
| Strings nicht ganz gewaltig in der Porille scheuern! | 
| Und die Druckknöpfe und Haken, die an keinem Body fehlen, | 
| Graben doch tiefe Kerben in die Familienjuwelen! | 
| Und ich denk' bei mir: Wie locker, luftig, frei und lose | 
| Hat’s mein Südpol in meiner zeltähnlichen Feinripphose! | 
| Und zu welcher Folter ihr euch Frau’n versklaven lasst, | 
| Nur weil es einem triebgestörten Modemacher passt! | 
| Während ich noch über das Los der Frauen meditier', | 
| Ist meine plötzlich weg, ich steh' allein im Revier. | 
| Jetzt bin ich ganz verlor’n, ich fang' nervös an zu zucken, | 
| Mein Blick eilt starr umher, nur wohin soll ich jetzt gucken? | 
| Seh' ich zu Boden, zur Decke mit unschuldiger Miene? | 
| Oder aus dem Augenwinkel zur Umkleidekabine? | 
| Guck' ich auf die Busen oder besser auf die Zwickel? | 
| Egal wohin, gleich ha’m sie mich als Spanner am Wickel! | 
| Und ich spür', wie sich böse Blicke in meinen Rücken bohr’n: | 
| «Was hat der alte, geile Sacke in den Dessous verlor’n?!» | 
| In Panik bahne ich mir meinen Weg durch die Push-Ups, | 
| Versteck' mich hinter Nachthemden, verhedder' mich in Straps, | 
| Suche Halt in den BHs, die schon leer so ausseh’n wie volle, | 
| Ich strauch’le — die Situation gerät ganz ausser Kontrolle: | 
| Schon tritt ein spitzer Stöckelabsatz mich hinterlistig, | 
| Und ein Schirm saust auf mich nieder: «Ey, du Wichser, verpiss dich!» | 
| Also eh' ich mich hier von den Furien lynchen lasse, | 
| Flücht' ich mit erhob’nen Händen zu der Frau hinter der Kasse! | 
| Ich erklär' ihr meinen Fall, sie lächelt mütterlich, | 
| Flüstert was ins Telefon, und kurz drauf höre ich: | 
| «Der kleine, grauhaarige Reinhard hat sich in unserer | 
| Damen-Unterwäsche-Abteilung angefunden. | 
| Er ist etwa 60 Jahre alt | 
| und möchte jetzt an der Kasse im Ladies-World aus dem Dessous-Paradies | 
| abgeholt werden!» |