| Sie waren Schreiner, Maurer, Steinmetz, Schmied und Zimmermann
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| Bald tausend Jahre her, dass ihre Wanderschaft begann
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| Silberschmied, Böttcher, Kupferstecher, aus bitterster Not
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| Zogen sie in die Fremde und sie suchten Lohn und Brot
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| Das Dorf so arm, das Land zu karg, keiner der Arbeit hat
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| Vater und Mutter kriegen die vielen Mäuler nicht satt
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| Sie schulterten ihr Bündel, nahmen ihren Wanderstab
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| Und gingen in die Welt, dorthin, wo’s Arbeit für sie gab
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| Nichts als den Stenz, nichts als die Kluft, nichts als am Leib das Hemd
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| Nicht einen roten Heller, immer hungrig, immer fremd
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| Nur ein kostbares Hab und Gut auf ihrer Wanderschaft:
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| Das Geschick ihrer Hände, ihren Mut und ihre Kraft
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| Wir alle seins Brüder
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| Wir alle seins gleich!
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| Ein Leben auf der Straße in Schnee oder Regenflut
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| In staub’ger Werkstatt oder im Gebälk zur Mittagsglut
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| Auf schwankendem Gerüst, im steilen Dach, im Glockenturm
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| Und weiterzieh’n in Kälte, in Nässe, Nacht und Sturm
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| Zu lernen, wie man anderswo die Kathedralen baut
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| Die Balken zimmert, Schiefer deckt oder den Stein behaut
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| Glück, wenn es eine Scheune gab als Herberge zur Nacht
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| Doch oft durchnässt im kühlen Morgentau im Gras erwacht
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| Und ihre Hände schufen die Burg zu Eisenach
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| Die Celler Fachwerkgiebel, das Innsbrucker Gold’ne Dach!
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| Und manch Geselle brachte der Welt ein Meisterstück dar:
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| Dürer sein Nashorn und Riemenschneider seinen Altar
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| Wir alle seins Brüder
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| Wir alle seins gleich!
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| Magerer Lohn, karges Quartier, und selten satt vom Schmaus
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| Drei Jahr und einen Tag und niemals näher an zuhaus
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| Als diese dreißig Meilen, aus dem Heimatkreis verbannt
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| Daß einen nicht die Sehnsucht, nicht das Heimweh übermannt!
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| Ihr Werkzeug, die Habseligkeiten, was ihr Eigen ist
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| Paßt in ein Leintuch, das im Quadrat eine Elle mißt
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| Und doch hat der entbehrungsreiche Weg sie reich gemacht
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| Hat Schätze an Erfahrung und Kunstfertigkeit gebracht
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| Und Reichtümer an Freiheit von drei Jahren auf der Walz
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| Allein an irdischen Gütern bleibt ihnen bestenfalls
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| Der goldne Ring im Ohr und der ist nicht da, um zu prahl’n
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| Nein, um damit wenn’s sein muß, ihr Begräbnis zu bezahl’n
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| Wir alle seins Brüder
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| Wir alle seins gleich!
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| Sie sind Schreiner, Maurer, Steinmetz, sie sind Schmied, und Zimmermann
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| Heut wie vor tausend Jahren treten sie die Reise an:
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| Der schwarze Hut, der Ring im Ohr, die Kluft aus alter Zeit
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| Am Hemd die schwarze, blaue, graue, rote Ehrbarkeit
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| Ein Weg voller Entsagung, Leben ohne Überfluß
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| In Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, ein freier Entschluß
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| Und ihre Hände bau’n den Reichstag und das Stelenfeld
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| Das neue World Trade Center, Brücken in die ganze Welt
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| Ihr seht sie auf der Rüstung, auf dem First und in den Sparr’n
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| Und wartend an der Straße, um ein Stück mit Euch zu fahr’n
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| Dann, brave Christen, ehe ihr vorbeifahrt, denkt daran:
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| Der Herr, zu dem ihr betet, war auch ein Zimmermann!
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| Und sagt der nicht: «Was ihr dem Wandrer an der Autobahn
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| Dem geringsten meiner Brüder tut, das habt ihr mir getan!»
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| Drum, brave Christen, ehe ihr vorbeifahrt, haltet an:
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| Der Herr, zu dem ihr betet, war auch ein Zimmermann!
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| Wir alle seins Brüder
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| Wir alle seins gleich! |